2020 im Juni …
was macht ein Musiker/Autor in der Corona-Krise. Ein kleiner Einblick in die Arbeit und ein „Making of ...“.
Im März 2017 feierte Gerhard Graf-Martinez seinen 65. Geburtstag in der Manufaktur Schorndorf. Ein Geburtstagskonzert mit MusikerInnen, mit denen er in den vergangen 50 Jahren auf der Bühne oder Studio stand, bzw. die bei ihm irgendwann im Unterricht waren. Ein 4-stündiges Programm mit Rock · Blues · Jazz · Klassik · Oriental · Flamenco · Folk · Klezmer · Tanz.
Ein Bericht in der deutschen Flamenco-Zeitschrift ¡anda!
Wir gratulieren GGM herzlich zu seinem 60. Geburtstag und lassen noch mal Revue passieren, womit er in den zurückliegenden Jahrzehnten die Flamenco-Aficionados in diesem Land bereichert und unterstützt hat.
Selbst Autodidakt im weitesten Sinn (sein umfassendes Musikwissen, Gitarren-Kompetenz, Flamenco-Wissen und Computerfähigkeiten betreffend), ist er längst unbestritten weit über Deutschlands Grenzen hinweg anerkannt als Flamenco-Gitarrenlehrer. Er war stets davon beseelt und getrieben, neue Wege zu entwickeln, um den Flamenco verständlich zu machen. Dazu hat er unermüdlich neue Ideen erdacht, verwirklicht und wurde damit für viele Aficionados im Land unersetzlich wichtig. Stets hatte er eine zunächst verrückt anmutende Idee und ließ dann nicht mehr locker bis zu ihrer Verwirklichung. Er war sehr oft Vorreiter, lange bevor der Mainstream folgte und ihn dann eifrig nachahmte.
Als jüngster von vier Geschwistern 1952 geboren, war er bald Außenseiter in seiner Familie, denn schon früh ging er neue Wege, musikalisch wie politisch, im Zeit-Geist der sogenannten 68er Jahre. Er kam von der Rockmusik (1968) über die Klassik (1973) zum Studium der Flamenco-Gitarre (1976) und suchte nun in Madrid und Andalusien nach Möglichkeiten, um dem Flamenco näher zu kommen.
Anschließend begann er in seinem Schorndorfer Musikladen mit dem bundesweit ersten Flamenco-Versand. Direkt in Spanien besorgte die heißbegehrten in Deutschland nicht erhältlichen Neuerscheinungen der Flamenco-Schallplatten. Auch Flamenco-Noten gab es zu dieser Zeit im deutschen Handel noch nicht, deshalb bezog er aus aller Welt absolute Insider-Noten, die er dann bundesweit, in seinen damals so beliebten Rundschreiben anbot, ebenso die von ihm in Spanien persönlich ausgewählten Gitarren.
Sehr früh Vater geworden (1975) und Familie gegründet, kämpfte er sich als Musiker durch mancherlei Widrigkeiten hindurch und engagierte sich politisch und ehrenamtlich im politisch-kulturellen Club Manufaktur Schorndorf. In dieser Zeit begann er auch mit regelmäßiger Unterrichtstätigkeit als Gitarrenlehrer, war freier Mitarbeiter beim SWR, arbeitete in der ersten deutschen Flamenco-Zeitschrift mit. Es folgten Auftritte mit einer in Madrid lebenden Flamencotänzerin und Fotografin und 1982 gründete er die Flamenco-Jazz-Gruppe „Modo Nuevo”. 1985 erlitt er bei einem schweren Autounfall eine Wirbelsäulenfraktur, deren Nachwirkungen ihn jetzt im Alter erheblich beeinträchtigen. 1986 veröffentlichte das Stuttgarter audiophile Edel-Label „Jeton“ die erste Akustikgitarren-CD Deutschlands mit „Modo Nuevo”, die ausschließlich mit Eigenkompositionen von GGM eingespielt wurde.
Von ihm, als freiem Mitarbeiter im Göttinger Musikblatt, erschienen kontinuierlich Workshop-Folgen, die schließlich zur Grundlage seiner heute mehrsprachigen Flamenco-Gitarrenschule wurden.
Durch den jahrelangen Platten- und Noten-Versand bildete sich bundesweit ein beachtlicher Freundeskreis von Flamenco-Gitarristen, aus denen sich die Teilnehmer seiner Kurse mit Andrés Batista in Schorndorf (1982 bis 84) und in den Folgejahren (1985 - 87) in Marbella rekrutierten. Sinn dieser beliebten Kurse in Marbella war es, die Gitarristen direkt an der Quelle des Flamenco in andalusischem Ambiente zu unterrichten.
Nachdem er selbst jahrelang Kurse veranstaltete, wurde er auch als Dozent für Flamencogitarre zu internationalen Gitarrenkursen und Seminaren eingeladen.
1987 bis 1989 war er bundesweit und in der ehemaligen DDR als Duo-Partner mit Thomas Fritz (Zupfgeigenhansel) unterwegs, woraus ebenfalls eine Schallplatte entstand.
1990 gründete er in Schorndorf die Gitarrentage, mit der Idee, den Gitarrenschülern parallel in mehreren Kursen ein breites Spektrum an Gitarren-Stilarten anzubieten. Als Dozenten lud er bundesweit seine namhaften Freunde aus Jazz, Klassik, Rock und Blues ein.
Im gleichen Zeitraum gab er im Ensemble seiner Frau, der Flamenco-Tänzerin Lela de Fuenteprado viele Konzerte, oft mit Workshop-Angebot kombiniert, in Deutschland und den angrenzenden Ländern. 1994 tourte er dann mit dem Fusion-Projekt Kathak-Flamenco (damals auch ein Novum für Deutschland), bestehend aus dem Lela de Fuenteprado Ensemble und dem Ensemble of Benares durch die BRD, Österreich, Schweiz und Italien.
1996 gründete er die „Flamencotage Schorndorf”. Die bis dato in Deutschland unbekannte mehrtägige Workshop-Variante wurde einmal jährlich für Tänzerinnen und Gitarristen angeboten. Dabei wurde 4 Tage lang konzentriert an einem Palo gearbeitet, die komplette Choreografie mit dazu passender Gitarrenbegleitung mal separat, mal gemeinsam erlernt und ausführlich geübt. Die „Flamencotage” gab es 9 Jahre lang in Folge, damit war ein neues, sehr beliebtes Workshop-Modell geschaffen, das inzwischen längst Schule gemacht hat.
Sein schon 1986 entwickeltes Flamenco-Metronom „Compas Flamenco”, die sogenannte Flamenco-Uhr, ein handliches, in den Gitarrenkoffer passendes Gerät, war bis nach Andalusien in Gitarristen-Kreisen sehr geschätzt. Da die Herstellungskosten mit den Jahren immer höher wurden (Handarbeit/kleine Stückzahl) musste nach 13 Jahren der Vertrieb leider eingestellt werden.
GGM hat unzählige Konzerte gespielt, alleine und in verschiedenen Flamenco-Ensembles, auf großen und kleinen Bühnen, war in Funk und TV zu sehen, meist zusammen mit seiner Frau Lela. Bis eine schwere Erkrankung 2006 (doppelter Bandscheibenvorfall an der HWS) ihn als Gitarrist von der Bühne verbannte. Er war nicht nur von seiner tanzenden Frau Lela sehr geschätzt, sie schwärmt noch heute davon: „Er hat mir stets auf die Füße gespielt und mich mit seiner Musik über die Bühne getragen”. Diese gelungene Verschmelzung von Musik und Bewegung mag eine Erklärung für unseren jahrelangen Bühnenerfolg sein.
Auch in anderen Bereichen war er der Pionier, oder „der Erste”. Seine Internet-Präsenz (1994) war die erste deutschsprachige im Web, europaweit waren er und eine niederländische Peña weit und breit lange die einzigen im WorldWideWeb. 1997, als viele noch nicht mal eine Ahnung davon hatten, wie man Internet schreibt, geschweige denn einen Zugang dazu hatten, bot er bereits im Internet den weltweit 1. Flamenco-Gitarren-Workshop zum freien Download an - das war für damals einfach sensationell!
Ab 1992 arbeitete er mehr und mehr auch als Autor, woraufhin 1994 beim Schott Verlag, Mainz seine 2-bändige Flamenco-Gitarrenschule erschien. Sie ist bis heute unbestritten das Standard-Lehrwerk für Flamenco-Gitarre im In- und Ausland.
Mittlerweile veröffentlichte er weltweit zehn Publikationen (Lehrbücher mit CDs, CD-ROM, DVDs) in deutscher und englischer Sprache. 2005 erhielt er den EduMedia-Preis und die Comeniusmedaille für seine DVD „Flamenco Guitar”. Im gleichen Jahr wurde sein Lehrbuch auch in China verlegt. Die im Jahr 2008 erschienene DVD „Gipsy Guitar” war für den Deutschen Bildungsmedienpreis „digita 2009” nominiert und erhielt die ComeniusEdu-Auszeichnung der GPI.
Bis heute erreichen ihn positive Rückmeldungen und Dankschreiben aus aller Welt - für seine gelungenen Lehrwerke, die so manchem nach Jahren des vergeblichen Selbststudiums zu erhellenden Erkenntnissen und effektiverem Üben verholfen haben. Die vielen begeisterten und lobenden Presse-Zitate zu jeder Veröffentlichung sprechen für sich.
2010 überraschte er mit FlamencoPercusión, ein Software-Instrument für die Musiker-Software Garageband und Logic, das nicht nur von Flamenco-Gitarristen, sondern auch von vielen Ton-Studios weltweit gerne verwendet wird. Seit letztem Jahr bietet GGM Live-Unterricht via Video-Chat an. Ein persönlicher Unterricht, indem sich Lehrer und Schüler rund um den Globus via Webcam gegenüber sitzen (face-to-face). Was für viele lange Zeit undenkbar war, ein paar Tipps vom Autor des beliebten Lehrwerks persönlich zu bekommen, bzw. bei ihm direkt Unterricht zu nehmen, obwohl der „Meister” im schwäbischen Urbach und der Schüler in Vancouver, Dallas oder Yokushima sitzt.
Wir dürfen gespannt sein, womit er uns in 2012,13, 14 … überraschen wird und wünschen ihm weiterhin gutes Gelingen!
Deutsche Flamenco-Zeitschrift ¡anda! 100/2012
Edu-Media-Preis der GPI 2005
Die DVDs Flamenco Guitar Vol 1 & 2 erhielten 2005 die Edu-Auszeichung, sowie die Comenius-Medaille des GPI (Gesellschaft für Pädagogik, Information und Medien, Berlin).
Edu-Media-Preis der GPI 2009
Auch die Edu-Auszeichnung 2009 der GPI ging an die DVD-Produktion Gipsy-Guitar. Mit der Verleihung der Comenius-Auszeichnungen fördert die GPI pädagogisch, inhaltlich und gestalterisch herausragende IKT-basierte Bildungsmedien.
digita 2009 (Nominierung)
Die im August 2008 erschienene DVD Gipsy Guitar - Rumbas Flamencas wurde für den Deutschen Bildungsmedienpreis digita 2009 nominiert. Der Preis ist eine Qualitätsauszeichnung für digitale Bildungsmedien. Die Preisträger werden durch das IBI/TU Berlin auf der „didacta - die Bildungsmesse“ ausgezeichnet.
Costa Blanca News
Der Erfinder des Flamenco-Metronoms erklärt wie man Flamencogitarrist wird.
(Das ungekürzte) Interview mit Gerhard Graf-Martinez in den CBN - Costa Nachrichten, Alicante (Spanien), Nr. 1286, 08. August 2008
CBN: Sie bezeichnen sich (im Anda-Interview) selbst als Cabeza Cuadrada. Wie haben Sie es (als Deutscher) dennoch geschafft, ein so herausragender Flamencogitarrist zu werden?
GGM: Den Flamenco an Ort und Stelle zu lernen, bzw. zu vertiefen, so wie man eine Sprache auch am besten in dem Land lernt, in dem sie gesprochen wird.
CBN: Können Sie mit den in Jerez oder Cádiz geborenen Musikern in jedem Punkt mithalten oder gibt es Bereich der Musik, die man von klein auf lernen (Stichwort im Blut haben) müsste, um sie zu beherrschen?
GGM: Da ich auch schon Spanier/Andalusier unterrichtete, weiss ich, dass es nicht alle „im Blut haben“. Aber die Gitanos „llevan algo en la sangre“, was man - und wir schon gar nicht - erlernen kann.
CBN: Was faszinierte und fasziniert Sie bis heute so am Flamenco, dass Sie andere Musikarten in den Hintergrund stellten?
GGM: Der Schmelztiegel an Kulturen, oder die Symbiose aus indischer (die Gitanos kommen ursprünglich daher), orientalischer, bzw. arabischer (man denke an 700-jährige Herrschaft der Moros), sowie die südamerikanische und die eigentlich andalusisch-spanischer Folklore
Flamenco ist zugleich eine sehr emotionale und doch strenge Kunstform und eine Lebenseinstellung. Flamenco bedeutet - Spontaneität, Improvisation in der Musik und im Lebensstil. Im „Jetzt“ leben. Sich nicht aufgeben, trotz stärkster Bedrängnis. Mit dem Ventil der Musik und des Tanzes, seelische und körperliche Not überwinden, ohne Aggression. Das Schicksal wird akzeptiert, aus jeder Situation das Beste gemacht, sei es noch so wenig - und das alles mit ausgeprägter Lebensfreude und starkem Lebenswillen.
Für jeden Zustand unserer Seele bietet der Flamenco eine Ausdrucksmöglichkeit. Ob wir traurig, oder glücklich sind, enttäuscht oder eifersüchtig, einen tiefen Schmerz, oder große Freude empfinden, all dies widerspiegelt sich im Flamenco, egal ob Gesang, Tanz oder Gitarrenspiel.
CBN: Hätten Leute wie Camarón oder Paco de Lucía von ihrem Metronom profitiert? Für wen ist es?
GGM: Mein Metronom ist nicht nur für den Anfänger gedacht, der sich bemüht, den Compás, den Rhythmus der verschieden Gattungen (Palos) zu lernen. Es wird auch von vielen Flamencos verwendet, um den Compás zu überprüfen. Jeder Gitarrist ist sich bewusst, was es heisst, jemanden zu bitten, ihm den Compás zu klatschen um eine neue Falseta auszuprobieren. Eine Maschine, also mein Metronom, erfüllt diese Sklavenarbeit ohne Murren und Knurren. Wie viele Profis mein Metronom benützen, ist auf meiner Website nachzulesen.
CBN: Was raten Sie Anfängern, die sich erstmals für Flamenco begeistern?
GGM: Sich mit der Musik, dazu gehört Cante (Gesang), Baile (Tanz) und Toque (Gitarrenspiel), auseinander zu setzen. Viel Cante zu hören und die frühe Erkenntnis, dass es sich weder „nur“ um eine Gitarrentechnik, noch um Steppen-mit-Po-wackeln handelt.
CBN: Was ist ihr liebster Palo?
GGM: Die Bulerías.
CBN: Können Sie sich ein Leben ohne Flamenco vorstellen und: Ist Deutschland nicht fatal, wenn man diese Musik so liebt, wie Sie?
GGM: Ohne Flamenco - nein das könnte ich mir nicht vorstellen. Da ich anfangs einiges auf der Gitarre ausprobierte, bis ich zur Flamencogitarre stieß, könnte ich mir vorstellen, auch mit einer anderen Gitarrenmusik meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Aber ohne den Flamenco hätte ich bestimmt nicht meine Frau Lela kennengelernt. Wohl hätte ich auch nicht eine Lebenseinstellung entdeckt, die ziemlich deckungsgleich mit der meinigen ist und dieselbe dann zu durchleben, bzw. zu leben. Womöglich hätte ich auch nie das wunderschöne Andalucía entdeckt, das sehr schnell zu meiner zweiten Heimat wurde.
Mir ist kein Deutscher bekannt, der in Deutschland vom Flamenco, also rein von der Konzerttätigkeit seinen Lebensunterhalt bestreitet. Seit Europa näher zusammengerückt ist, ein Flug für ein paar Duros erhältlich ist, sind unsere spanischen Freunde, also Flamencos hier ganz gut vertreten, wo viele deutsche „Flamenco-Fremdarbeiter“ eben einfach das Nachsehen haben. Das Publikum setzt sich aus Andalusien-Urlauber, VHS-Spanisch-Kurs-Besucher, Gitarren-Aficionados und Schwingende-Flamencoröcke-Liebhaber zusammen. Ob nun eine Soleá, oder Siguiriyas dargeboten wird, ist ziemlich egal, da man nicht voraussetzen kann, dass der Unterschied begriffen wird. Oft ist nach dem Konzert zu hören, dass die dritte Zugabe, eine Rumba, der wirklich „echte“ Flamenco war.
CBN: Was ist ihr nächstes Projekt, was Flamenco angeht? Kurse, Konzerte, Kompositionen? Kann man Sie hier in Spanien einmal live hören oder einem Kurs beiwohnen?
GGM: Als nächstes will ich den dritten Band zu meiner Flamenco-Gitarrenschule angehen. In der Tat plane ich irgendwann in den nächsten Jahren wieder Flamencokurse, wie ich es in den 1980er Jahren tat, in Andalusien zu veranstalten.
CBN: Kommen Sie privat viel nach Spanien/an die Costa Blanca?
GGM: Früher sehr oft - momentan nicht, da hier viel zu tun ist.
CBN: Ihr Flamencogitarren-Lehrbuch wird ins Mandarin übersetzt (oder ist schon?). Kommt das daher, dass es im asiatischen Raum tatsächlich so viele Flamenco-Fans gibt?
GGM: Ja - wie man weiss, existiert in Japan ein sehr starke Flamencoszene. Ich denke, dass sich dies in unmittelbarer Zukunft ähnlich in China entwickelt, mit dem „kleinen“ Unterschied, dass die Einwohnerzahl Chinas die japanische um über das 10-fache übersteigt.
CBN: Wieso verzückt diese Musik ihre Meinung nach so viele Menschen auf dieser Welt. Gibt es den „duende“ des Flamenco wirklich?
GGM: Mit Begriffen wie „Duende“ möchte ich vorsichtig sein. Er wird hauptsächlich von den „Guiris“ verwendet. JUAN TALEGAS (1891 - 1971), einer der größten Cantaores des letzten Jahrhunderts sagte zum diesem Thema: „Unsinn. Wer hat euch Ausländern den Floh mit dem Duende ins Ohr gesetzt? García Lorca etwa? Duende, das ist wie Fieber, wie Malaria. Ich hatte nur zweimal in meinem Leben Duende. Danach mußte man mich vom Platz tragen.“
Interview in der Flamenco-Zeitschrift ¡anda! - Nº 77/2008 von Ralf Bieniek.
Das ungekürzte) Interview mit Gerhard Graf-Martinez in der ¡anda! Nº 77/2008 von Ralf Bieniek.
¡anda!: Du hast eine der populärsten Schulen zum Erlernen der Flamencogitarre geschrieben. Die anschließend produzierten DVDs suchen ihresgleichen in Punkto praktische Anwendung. Graf-Martinez ist ein Name in der Flamencowelt. Wir geht's Dir gerade in der Bandbreite zwischen 1 und 5? (1=sehr gut, 5=schlecht).
GGM: Bezogen auf meine Publikationen 1. Gesundheitlich 4.
¡anda!: Wer oder was ist für Dein Wohlbefinden verantwortlich?
GGM: In erster Linie meine Frau Lela und klar - wenn es den Kindern gut geht, bin ich auch glücklich. Zudem ist sehr entscheidend ob ich arbeiten kann, aber auch mein soziales Umfeld spielt eine nicht unwichtige Rolle.
¡anda!: Was hat Dich damals getrieben eine Flamencoschule zu schreiben?
GGM: Auf die unzählige Kurse im In- und Ausland, zu denen ich eingeladen wurde, bereitete ich mich immer gründlich vor. Alles was ich im Kurs, im Workshop unterrichtete, erhielt der Teilnehmer in schriftlichen Form, also Noten und Tabulatur. Da sammelte sich im Laufe der Zeit Unmengen von Material an. Wiederholte Engagements zu internationalen Gitarrenkursen und -Festivals, positive Rückmeldungen der Teilnehmer, Huldigungen in der Fachpresse, auch der Erfolg meiner Workshop-Kolumnen in verschiedenen Fachzeitschriften, motivierten mich dazu, dieses Material zu sammeln und zu sortieren. Ein damals befreundeter Autor nahm mich mit zum Schott-Verlag. Es vergingen ein paar Jahre bis sich der zuständige Lektor meldete, mit der Bemerkung, dass ich ja hier ein beachtliches Werk abgeliefert hätte. Von der Abgabe des Manuskripts bis zur Veröffentlichung vergingen dann tatsächlich 5 Jahre. Da ich alles selber machte, also Autor, Komponist, Layout, Notensatz, Bildbearbeitung, Fotos, eben Desktop-Publishing, wie man es damals nannte, entstand tatsächlich, wie durch die Fachwelt bestätigt, ein kompaktes, in sich stimmiges Lehrwerk. Die beiden Bände werden nun seit 15 Jahren weltweit vetrieben und die Verkaufszahlen steigen immer noch. Erfreulich ist der große Erfolg der englischen Ausgabe in den USA. Anfangs als Warner Bros. den Vertrieb hatte lief es nicht so gut, aber seit diesen Hal Leonard übernahm, bin ich fast überall auf Platz 1 in den Verkauf-Charts zu finden. Aufgrund dieses Erfolges wird meine Flamencoschule nun ins Chinesische, oder besser gesagt, ins Mandarin übersetzt.
¡anda!: Sehr beliebt ist auch Dein Flamenco-Metronom. Was unterscheidet ihn von anderen Versuchen den Compás so richtig puro einzufangen?
GGM: Ob der Compás richtig „puro“ eingefangen wird, hängt nicht von meiner Software ab, sie ist maximal eine Hilfestellung. Vermutlich ist der magische und mystische Anteil im Flamenco eine nicht unerhebliche Komponente. Aber - die Formen sind erlernbar, ebenso die Rhythmen. Entscheidend ist die Vorgehensweise. Vergiss den Quatsch mit „im Blut haben", oder „mit der Muttermilch eingesogen" - ich habe genug Spanier, Andalusier unterrichtet, die ebenso Probleme mit dem Rhythmus hatten, wie Nichtspanier. Bin ich nun mal ein „Cabeza cuadrada", wie die Deutschen damals genannt wurden, muss ich eben damit umgehen, wie ich gewohnt bin zu lernen. Entweder ich nerve irgendjemand, der Palmas kann, ständig Compás-Patterns (patrones) zu repetieren, oder ich nütze eine Maschine, die diese niedere Arbeit ohne murren und knurren ausführt. Ein wichtiger Aspekt meiner Software ist die visuelle Wahrnehmung. Unsere Aufmerksamkeit und Konzentration ist auditiv eh überfordert, also liegt doch nahe, dass ein Multitasking-Vorgang auf verschiedene Sinne verteilt wird. Wobei es zuvor eine kurze Auseinandersetzung mit der Flamenco-Uhr (Reloj Flamenco) bedarf, wie die Palos dem Zifferblatt zugeordnet werden. Eine dritte Möglichkeit wäre, man ist von Kindesalter an mit diesen Rhythmen konfrontiert worden und eine alternierende Taktart, ob bewusst oder unbewusst, ist für einen das Normalste auf der Welt. Werde ich aber erst im Alter von 20 Jahren mit Polyrhythmen konfrontiert, habe ich eben einiges nachzuholen und kann mir aussuchen, wie schnell ich zum gewünschten Ziel komme. Nun gibt es einige Stimmen die da sagen: Vor dem Computer üben? Das ist mir zu blöd. Naja - dann halt nicht, spiele weiter „fuera de compás", oder such dir Palmas-Sklaven. Zugegeben man braucht den Rechner dazu, dies wird sich aber in unmittelbarer Zeit ändern, sobald die Mobis alle iPhone-Standard aufweisen, da läuft dann auch meine Software drauf. Will heissen, ich benütze mein Mobi als Compás-Wächter.
Dass der Compás aber tatsächlich in „Fleisch und Blut" übergeht, ist nicht nur mit meinem Metronom, oder anderen Hilfsmitteln zu erreichen, sondern kann meines Erachtens nur über jahrelange Tanzbegleitung, und sei es „nur" in einer Tanzschule, zum Ziel führen. Helfen kann auch Rhythmen immer und immer wieder anzuhören, am besten verbunden mit Harmonie- oder Melodiefolgen. Anfangs der 70er, zu Hochzeiten des Jazz-Rock, musste jeder Musiker Paul Desmond´s "Take Five" draufhaben. Viele konnten aber den Rhythmus im 5/4-Takt nur in Verbindung mit der Bass-Line spielen. Bei dem Versuch einem Jazzmusiker den Rhythmus der Bulerías zu erklären, wird er dir sofort klarmachen, dass dies der Rhythmus von America aus Bernstein´s West Side Story ist. Gibt man ihm aber eine typische Akkordfolge der Bulerías vor, hat er zumindest Anfangsschwierigkeiten - vom Groove wollen wir mal kann nicht reden. Ist ja auch klar - ein Jazzmusiker artikuliert, phrasiert anders - und da sind wir beim Thema: Takt - Rhythmus - Drive und Groove, oder Aire. Ohne Takt, Timing und Rhythmus ist kollektives Musizieren nicht möglich. Groove, oder Aire ist die Sahne auf dem Törtchen. Ich habe großen Respekt vor den Gitanos, wie sie die Bulerías spielen, oder auch die Südfranzosen die Rumba - und da geht es nicht um Konditionierung, sondern wirklich um „llevar algo en la sangre“. Jedes Mal, wenn wir nach den Konzerten von Paco mit ihm in das damals, anfangs der 80er, angesagte Flamencolokal in Stuttgart gingen und Antonio Amador seinen Paso spielte, war Paco immer derjenige, der den Zeigefinger vor die Lippen hielt und zum Zuhören aufforderte. Wie bekannt, zollte er den Gitanos seinen Respekt in „Gitano Andaluces“.
¡anda!: Wenn Du die Zeit zurückdrehen könntest, auf welches Erlebnis würdest Du lieber verzichten?
GGM: Ein Autounfall Mitte der 1980er, bei dem ich eine Lendenwirbelfraktur erlitt, die heute große Problem bereitet und eine doppelter Bandscheibenvorfall im Halswirbelbereich vor 2 Jahren, der mir immer noch die Feinmotorik, vor allem in der rechten Hand, lahmlegt. Es ist auf die Dauer deprimierend morgens mit einem Taubheitsgefühl in den Händen aufzuwachen. Aber die Anteilnahme und Genesungswünsche vieler Kollegen und der Teilnehmer in den angesagten, englischsprachigen Foren, auch im Paco-de-Lucía-Forum, hat mich ziemlich aufgebaut und ich hoffe, durch Eigeninitiative, Bewegung und Geduld alles wieder in den Griff zu bekommen.
¡anda!: Welches Erlebnis würdest Du gern noch einmal durchleben?
GGM: Die Zeit der Experimente, also Anfang der 70er. Die Zeiten in Madrid und Málaga. Die Verleihung des Deutschen Bildungsmedienpreises 2005 in Berlin.
¡anda!: Wann und wie hat Dich die Flamencogitarre gereizt und schließlich gepackt? Gab es ein Schlüsselerlebnis? Welches?
GGM: In meiner Rock-Phase, als ich eine 63er Strat spielte, hörte ich in „Oh well“ (Part Two) von Fleetwood Mac ein mir unbekanntes Instrument. Ich konnte es nicht glauben, dass dieses Riff auf einer „Gut String“ (Nylonsaitengitarre) gespielt wurde. Dieser Klang faszinierte mich so sehr, dass ich sofort irgendwie Kohle auftrieb um mir meine erste Konzertgitarre zu kaufen. Dann sah ich Manitas im TV. Ich konnte nicht glauben, was er alleine mit seinen Fingern auf diesem Instrumente zauberte. War man als E-Gitarrist jahrelang auf die linke Hand fixiert, eröffnete sich mit diesem Hörerlebnis völlig neue Welten: Man kann mit der Rechten eine komplette Band ersetzen. Zu dieser Zeit war Paco zwar schon in Deutschland unterwegs mit dem „Festival Gitano“. Aber wahrgenommen wurde er eben nur von jenen, die eines der wenigen Konzerte in Deutschland besuchten. Auf den deutschen Konzertbühnen sah man hauptsächlich Solo-Gitarristen wie eben Manitas und Carlos Montoya. Scheiben von vorher genannten, sowie den Los Romeros, die von irgendjemand ernannten „Könige des Flamenco“, „Spanische Impression“ von S. Behrend, waren die hier erhältlichen Tonträger. Beim 2001-Versand bestellte ich mir meine erste Semi-Flamenco-Platte Pedro Ituralde Quartett mit Paco de Lucía. Erst später gab es die Solo-Platten von Paco. Nachdem ich Panaderos Flamencos im Original auf der Festival-Gitano-Platte hörte, ich kannte es in verschiedenen Versionen von 2 oder 3 nichtspanischen Gitarristen, war mir klar: Aha - so war´s gemeint.
¡anda!: Wie reifte der Entschluss, aus Flamenco einen Beruf zu machen? Damals gab es doch in Deutschland recht wenig Flamenco, im Gegensatz zu heute.
GGM: Ich bin mir nicht sicher, ob man bei einer Kunst, die nicht offiziell zur Kunstform erhoben wurde, also nicht studiert werden kann, jemals den Entschluss fassen kann, dies zum Beruf zu machen. Es war wohl eher eine evolutionäre Angelegenheit, wo irgendwann der Zeitpunkt kommt, bzw. man der Meinung ist, das müsse eigentlich reichen zum Leben. Wobei es vom Wochenend- oder Freizeitspieler zum Profi ein Riesenschritt ist. Vor allem wenn man nach einiger Zeit feststellen muss, das nur noch ein kleiner Teil mit „Musik machen“ zu tun hat, der größte Teil geht mit Arbeitsbeschaffung und sich auf der Autobahn bewegen drauf.
Ja, zugegeben - damals gab es nicht so viele Flamencogitarristen wie heute, aber wohl mehr Gitarristen und fast alle, vor allem die Konzertgitarristen hatten „einen Flamenco“ im Angebot.
¡anda!: Wie sieht ein ganz normal Tag des Gerhard Graf-Martinez aus?
GGM: Ab ca. 10 Uhr in der Früh bin ich ansprechbar. Frühstücken, Zeitung lesen, mit Korrespondenz, allgemeiner Information im Internet ist der Morgen dann vorbei. Aber es ist immer wieder jeden Morgen erfreulich, Emails von jemand aus LA, Sydney, Buenos Aires, Kalkutta oder Bahrain, der momentan mit meiner Schule lernt, sich dafür bedankt, oder eben ein Frage hat. Nach dem Mittagessen dann eine Stunde Walken, alleine oder mit meiner Frau, dann eine Stunde Liegen, ab ca. 16.00 Uhr geht´s dann weiter. Die Hauptzeit verbringe ich am Mac. Abends geht meine Frau dann in ihr Studio und wenn sie so gegen 22.00 Uhr zurückkommt mache ich ein, zwei Stunden Pause und arbeite dann noch bis ca. 2 oder 3 Uhr. Manchmal während einer Produktion auch bis 4,5 oder 6. Ab und an, nach Wochen am Rechner, muss ich dann mal wieder meine Kreissäge anwerfen und irgendwas um- oder ausbauen, wie z. B. den Tanzboden im Studio meiner Frau erneuern, einen Baum fällen im Garten, oder so wie heute mittag, ein Festmeter Brennholz hacken (mal sehen wie es meinen Bandscheiben übermorgen geht?). Zu diesem Tagesablauf ist aber sehr entscheidend, dass mein Arbeitszimmer, sowie auch der Schreibtisch meiner Frau hier im Haus ist. Wir sind beide sehr dankbar dafür und sind uns auch bewusst, dass es ein absolutes Privileg ist, jederzeit Zugriff aufeinander zu haben, sich auszutauschen, sei es in Bezug unserer beider Profession, aber auch politische Themen zu diskutieren, direkt hier am Arbeitsplatz, bei Walken, oder beim gemeinsamen Essen, oder dann in der warmen Jahreszeit entspannt im Garten sitzen.
¡anda!: Ist Flamenco in erster Linie Lebenseinstellung oder Kunstform?
GGM: Kommt auf die betrachtende Person an. Für den Ausübenden sollte/kann es eine Lebenseinstellung sein, wenn man weiß, was Flamenco und flamenco (Adjektiv) ist. Für den Rezipienten kann es eine Kunstform, aber auch einfache Folklore, oder Tralala, schwingende Röcke und stolze Gatos sein.
¡anda!: Was macht Dich am Flamenco an, was turnt Dich ab?
GGM: Einfachheit (oft sieht es einfach aus, oder hört es sich einfach an) gepaart mit Idee und Esprit. Um etwas aktuell zu sein, nimm den Anfang von Esperanza Fernández´„Manolo Reyes“. Es ist einfach genial. Es nachzuspielen - kein Problem. Es zu spielen wie Paco Fernández *) - ?! Oder nimm die Sachen, die Raimundo auf den frühen Lole y Manuel Produktionen gespielt hat. Alles relativ einfach - aber genial. Es zu spielen wie er?!
Sängerinnen wie Lole, Esperanza Fernández, La Susi, Tänzerinnen wie Manuela Carrasco (möglichst mit ihrem Mann Joaquin Amador an der Gitarre). Gitarristen wie Tomate, Moraito, Raimundo und der „Chef“ kann ich immer noch stundenlang anschauen/anhören.
Abturnend sind pathetische Flamenco-Inszenierungen - und noch schlimmer wenn Guiris den Versuch unternehmen, dies zu topen. Oder wenn Gitarristen der Meinung sind, sie könnten eben mal so mit-improvisieren und trotz eines Hinweises, dass es so nicht geht, lapidar bemerken, dass Flamenco zu 90% Improvisation wäre, aber keinen blassen Schimmer davon haben, dass vor dem Output immer ein Input stattfinden muss. Oder, wenn einer anruft, sich für ´ne Stunde anmeldet um ein paar Tricks zu lernen. Dem lege ich dann nahe, dass der einzige Trick den es gibt, ich ihm auch Telefon sagen kann - üben.
¡anda!: In welchen Situationen möchtest Du Deinen Job oder Flamenco an sich am liebsten an den Nagel hängen?
GGM: Wenn meine Hände nicht mehr das tun, was ich von ihnen lange Zeit gewohnt war.
¡anda!: Welche Musiker haben Dich in Deinem Leben geprägt und warum?
GGM: Hendrix, Clapton, Richards, Lennon, Kottke, Django Reinhardt, Baden Powell, Segovia, Paco de Lucía und Tomate, der Charango-Spieler Jaime Torres und die Zamba-Spezialisten aus Argentinien Los Chalchaleros - um ein paar wenige zu nennen. Durch wen ich geprägt wurde mögen andere beurteilen. Aus Respekt diesen Persönlichkeiten gegenüber würde es eher beeinflusst nennen. Entscheidend für mich ist nicht immer die Saiten-Artistik, oder die hohe Virtuosität eines Musikers. Die Tonbildung, Phrasierung und Artikulation, oder auch die Kunst des Arrangierens, auch Reduktion beeindruckt mich mehr.
¡anda!: Wer waren Deine wichtigsten Lehrer und warum?
GGM: Lehrer hatte ich direkt keine. Es war immer eine Art von Zusammentragen. Ich musste mir in Andalusien alles aus der Nase der Gitarristen saugen. Anfang der 80er schaute ich mir mal eine Stunde den damals berühmten Gitarrenkurs in Córdoba an. Ein assistierender Gitarrist, ich glaube es war Manolo Palma, der damalige Gitarrist von Pele, saß vor dem Kurs, spielte eine Falseta und sagte während der letzte Akkord am ausklingen war zum Dritten von rechts in der zweiten Reihe "Ahora tu". So wurde damals das Gitarrenspiel weitergegeben. Zurück zur Frage. Klar - erwähnen sollte ich auf jeden Fall Maestro Andrés Batista, der zu jener Zeit wohl am meisten Ahnung vom Flamenco hatte und sich auch um dessen didaktische Übermittlung bemühte. Am meisten lernte ich aber, der besser Ausdruck wäre „abgucken“, von den Gitarristen, die damals im Amor de Dios arbeiteten. Aber auch viel durch den Tanz, durch die Tanzbegleitung und nicht zu vergessen, die nächtlichen „Lernprozesse“ mit den Tänzerinnen und Gitarristen im Candela.
Zu erwähnen wäre noch, nicht unbedingt als Lehrer, mehr als Freund, Enrique Campos aus Málaga, mit dem ich Mitte der 1980er die Kurse in Marbella veranstaltete, der zusammen mit Tomate beim legendären Pedro Blanco das Toque erlernte. Ganz wichtig, was das Lernen betrifft, waren aber meine Schüler, Kurs- und Worshop-Teilnehmer aus allen Ländern, in denen ich unterrichten durfte. Deshalb gebe ich heute immer noch einen halben Tag in der Woche Privatunterricht, rein zum Spaß, um am Ball zu bleiben.
¡anda!: Was wirft Dich aus der Bahn?
GGM: Wenn mein Körper nicht mehr so will ich gewohnt bin. Besserwisser und Anderen-in-die-Suppe-Spucker.
¡anda!: Gab es für Dich eine Phase im Leben, wo Du nicht mehr weiterwusstest?
GGM: Ja - als uns (meine erste Frau † und meine 2 Kinder) Ende der 1980er die Wohnung gekündigt wurde und es absolut aussichtslos war, als Musiker eine neue Bleibe zu finden. Erstens waren/sind die Mietpreise hier in der Region Stuttgart ziemlich hoch und zweitens hatten wir wenig Geld. Grund für die Ablehnung seitens des Vermieters war immer die zu erwartende Lärmbelästigung, oder „So - sia send Musiker? Ond was schaffet´se?“ Der letzte Ausweg war dann die Anmietung einer älteren 10-Zimmer-Villa, mit mehreren Leuten, aus der ich dann durch 3-monatige Knochenarbeit (Bad und Küche einbauen, Wände ausreisen und neue einziehen) ein 3-Familienhaus machte.
¡anda!: Was fängt Dich auf?
GGM: Meine Frau - meine Arbeit. Aber auch sich-selbst-am-Schlawickel-packen und einmal mehr aufstehen, als man umgeworfen wird, war und ist meine Maxime.
¡anda!: Wie wichtig sind Dir Freunde?
GGM: Ich brauche nicht viele und schon gar nicht um jeden Preis.
¡anda!: Was verlangst Du von Freunden?
GGM: Eine Freundschaft sollte nicht auf Verlangen basieren.
¡anda!: Was meinst Du, wie sehen Dich Deine Schüler? Hast Du eine Vorstellung davon?
GGM: Wie sie mich sehen, ist meistens nicht mehr direkt von ihnen zu erfahren, nachdem sie meine Schüler waren. Was ich dann über Dritte, Positives oder Negatives, zu Ohren bekomme, ist immer mit Vorsicht zu genießen. Ich will mich nicht mit Persönlichkeiten wie Alfred Hrdlicka gleichstellen, aber seine Äußerung über die Phase eines Studenten, in der er seinen Meister anhimmelt und ihn dann irgendwann hasst, ja womöglich als Amateur sieht, wäre ein ganz normales Verhalten. Von wem stammt der kluge Spruch, ich glaube von Nietzsche: „Man belohnt seinen Lehrer schlecht, wenn man immer sein Schüler bleibt“.
Mit einigen, aus denen wirklich etwas geworden ist, einer ist in der New Yorker Jazz-Szene zugange, ein anderer hat Komposition studiert, manche sind wirklich gute Gitarristen/Musiker geworden, habe ich ab und an noch Kontakt, oder sie rufen an um Rat zu holen. Aber der Rest waren eben „Schüler“. Manche vergessen, bei wem sie gelernt haben, andere können alles viel besser. Es ist wie mit den Kollegen, mit den wirklich Guten kommt man normal aus. Andere, die das Geheimnis mit sich umhertragen ein Genie zu sein und es als Einzige zu wissen, gibt es in jeder Branche. Die muss man einfach reden und links liegen lassen.
¡anda!: Was macht für Dich ganz individuell die Faszination Flamencogitarre aus?
GGM: Bis 1990, als meine Konzert- und Kurstätigkeit so richtig begann, war ich die erste Adresse hier in puncto Flamencogitarren. Dass mich Guitarreros wie Manuel Bellido, Rodriguez usw. besuchten, war keine Seltenheit. Ich will damit sagen, dass durch meine Hände unzählig viele Instrumente gingen und sich da unweigerlich Wissen und Kompetenz anhäufte. Da ich mich auch für den Gitarrenbau interessierte, trieb ich mich immer in den Tallers in Granada, Málaga rum und baute auch selbst in dieser Zeit einige Instrumente, aber nur zum Spaß. Diese Affinität musste ich dann leider aus Zeitgründen aufgeben. Im Lauf der Jahre entstand eine zweiseitige Liebe zu den Instrumenten. Zum Einen wie sie klingen, zum Anderen, wie sie gebaut sind. Nun ist nicht wirklich für jeden Instrumentalisten die Ästhetik ein Kauffaktor, aber für mich war es immer entscheidend, wie sauber ein Gitarrenbauer arbeitet, war doch eine Gitarre mit Verarbeitungsfehlern eben schwieriger zu verkaufen. Wobei ich Schnitzereien und Intarsien, auch die Rosette nie aufregend fand und nie groß beachtete. Schon das Öffnen des Koffers einer Blanca, wenn einem der unverwechselbare Duft des Zypressenholzes in die Nase steigt, ist eine Art Rauschmittel, das völlig legal, aber genauso intensiv Sensoren im Gehirn anschubst, die einen sofort virtuell an den Ort transferieren, wo sie von Meisterhand gebaut wurde. Darum ist es nicht nur für mich, auch für die meisten Gitarristen immer wieder eine Überwindung, nicht sofort bei jedem Gitarrenbauer zuzuschlagen, da dieses Instrument nun wirklich das ultimative ist. Bis ich aber bei den renommierten Gitarrenbauern an die wirklich guten Instrumente kam, gingen einige hunderttausend, in der Gesäßtasche aufgeweichte Pesetas über den Ladentisch, bzw. über die Werkbank.
Anfangs der 90er beendete ich den Handel und verkaufte in einer Art geistigen Umnachtung all meine privaten Gitarren, bis auf jene, die von mir selbst gebaut wurden, aus mehren Gründen. 1. meine Lieblings-Bellido wurde nach einem Konzert beschädigt, d.h. es war mir zu blöd mit einem wertwollen Instrument auf den Autobahnen rumzukutschieren, 2. jedes Instrument, ob Gitarre oder Klampfe klang gleich bescheuert über die seitens der Veranstalter bereitgestellten Verstärkeranlagen, PAs, oder was auch immer, 3. lagen all meine tollen Gitarren zuhause im Koffer, oder in der Vitrine und waren beleidigt, weil sie nicht mehr gespielt wurden. Das ist keine Witz - es ist in der Tat so, dass Instrumente wieder in ihren Urzustand, nämlich in den unbespielten, zurückkehren.
Dies hielt aber nur ein paar Jahre an, dann entschied ich mich als langjähriger Verfechter der Granainas für eine Gitarre aus Madrid - und da sind wir jetzt endlich bei der Gitarren-Philosophie angelangt. Der eine ist der Meinung, Flamencogitarren können nur in Andalusien gebaut werden, der anderen vertritt vehement die Madrider Schule. Über Conde, Ramirez, Gerundino, Reyes, Barba, Manuel Bellido - um mal die renommiertesten zu nennen, lässt sich nächtelang streiten, aber es ist müßig eine herauszupicken und sie als die Beste zu bezeichnen. Erstens klingt bei einem Gitarristen mit ausgeprägtem Anschlag jede Gitarre einfach mal nicht schlecht und zweitens, eine Meistergitarre in Meisterhand? Was gibt es schöneres?! Klar haben die Estesos wohl den stärksten Klangcharakter, im Diskant sind sie unverwechselbar, man denke nur an den Töne auf der g-Saite, oder die trockenen Bässe, aber die Barba eines Raimundo´s, die Reyes von Vicente, oder die Ramirez von Manolo Sanlúcar und, und, und ... sind Instrumente, deren Besitz den meisten Gitarristen wohl ein Traum bleiben wird.
¡anda!: Warum ist Paco de Lucia so wichtig für Dich?
GGM: Er ist und bleibt der „Jefe“, da können noch 10 weitere Vicentes kommen. Ihm und auch Tomate haben wir es zu verdanken, wie heute Flamencogitarre gespielt wird.
¡anda!: Worauf freust Du Dich, wenn Du an die Zukunft denkst?
GGM: Auf die Arbeit und auf die Realisierung meiner Ideen und Visionen. In unmittelbarer Zukunft auf die chinesische Ausgabe meiner Flamencoschule.
¡anda!: Wobei wird Dir Angst und Bange wenn Du an die Zukunft denkst?
GGM: Global gesehen - was wir unseren Kindern und Kindeskindern hinterlassen in Bezug auf Klima, Gentechnologie und sonstige kriminelle Machenschaften, die von ein paar wenigen auf diesem Planeten auf dem Rücken der gesamten Weltbevölkerung, insbesondere auf dem der Armen ausgetragen werden.
Musikalisch gesehen, dass jegliche Art von Musik, nenne es World, Ethno, oder sonst wie, mit dem monotonen Puls einer gesampelten Bassdrum ohne Betonung von der 1 bis zur 4 zugemüllt wird. Anfangs wurden den Drum-Maschinen, unsere spanischen Freunde nannten sie „caja de ritmo“, wenigstens noch ein Bum-Tscha-Bum-Tscha entlockt, heute hören wir nur noch, egal ob Spatzlhuberschürzentäler, oder Los Marismomentos, Bum-Bum-Bum-Bum.
¡anda!: Du warst ja lange Zeit viel unterwegs mit Deiner Frau Lela de Fuenteprado. Auf den Konzertbühnen seit ihr aber nicht mehr anzutreffen?
GGM: Richtig - wir waren viel unterwegs, sind in allen Großstädte dieses Landes, auch in den angrenzenden Ländern, aufgetreten und sind deshalb zufrieden mit dem was wir auf der Bühne, in den Medien erreicht haben, bzw. erlebt haben. Ab Mitte der 90er ist das ein wenig abgebröckelt, Lela begann nach ihrem Umzug nach Schorndorf intensiv mit dem Unterricht und letztendlich lag dann auch nichts näher als hier in der schwäbischen Provinz ein Flamenco-Studio zu eröffnen, das bis dato gut läuft. Ich war zunehmend mit meinen Publikationen beschäftigt und wir mussten feststellen, dass uns dies mehr Spaß macht, als stundenlang im Auto quer durch Deutschland zu fahren und immer wieder tagelang vom gemütlichen Zuhause und unseren Kindern getrennt zu sein. Parallel dazu zogen wir auch die Flamencotage Schorndorf auf, die jedes Jahr im Frühjahr stattfanden. Wir waren wohl die Ersten hier in Deutschland, die einen derart gestalteten mehrtägigen Intensiv-Workshop für Tanz und Gitarre gleichzeitig, mit sich überschneidenden Unterrichtseinheiten anboten, um verstärkt das gegenseitige Zusammenspiel und Verständnis zu fördern. Diese Methode und unsere Art es zu vermitteln wurde fast 10 Jahre dadurch bestätigt, dass die Kurse immer lange im voraus ausgebucht waren. Die Sache wurde dann leider auch durch meinen schon erwähnten Bandscheibenvorfall beendet.
Unterricht
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